Sprachanforderungen nicht erfüllt – oder?   

Text und Bild: Sophie Dettwiler

Den heutigen Studierenden scheint es an Sprachkompetenz zu mangeln. Deshalb vermögen sie den kommunikativen Anforderungen der Universität nicht zu genügen – ein heikler Themenkomplex. Am 4. November 2021 haben sich insgesamt über 100 Vertreter:innen der FMS Basel, der Basler und Baselbieter Gymnasien sowie der Universität Basel getroffen, um unter dem Titel «Hast du Worte?» über die deutsche Sprache als basale Kompetenz in allen (Studien-)Fächern zu diskutieren, sich auszutauschen, Wünsche und Chancen zu formulieren. – Ein Bericht 

Die Sprach- und Schreibkompetenzen, und damit insbesondere die Lesekompetenzen, von Schüler:innen und Studierenden haben in den letzten Jahren verschlechtert, das wissen wir spätestens seit PISA 2018. Warum das so ist, ist umstritten: Die Generation Z kennt viele Erstsprachen, mag es unverbindlich und ist 24h online. Vor allem aber liest sie nachweislich weniger. In der akademischen Landschaft hingegen hat nicht viel verändert: Angehende Akademiker:innen müssen nicht nur wissenschaftliche Texte lesen, sie müssen auch solche verfassen. Und da liegt das Problem: Studierende haben immer mehr Mühe bei der Rezeption und Produktion akademischer Texte. Es geht dabei nicht (nur) um traditionelles Sprachwissen im Sinne einer korrekten Anwendung grammatikalischer Regeln, sondern um eine ganze Reihe unterschiedlicher Fertigkeiten, die für das Lesen und Formulieren von wissenschaftlichen Texten wichtig sind, also auch logische und argumentative Fähigkeiten. Kurz: Den frisch gebackenen Maturand:innen mangelt es nicht nur an wissenschaftlichen Textkompetenzen, sondern eben auch an den damit verknüpften Fähigkeiten des wissenschaftlichen Denkens. Es besteht ein allgemeiner Konsens, dass der Erwerb genau dieser Fähigkeiten nicht ausschliesslich im Rahmen des Deutschunterrichts auf der Mittelschulstufe zu bewältigen ist. Die Studierfähigkeit ist Sache aller Schul- und Studienfächer, wie der Event gezeigt hat. 

„When children learn language, they are not simply engaging in one kind of learning among many; rather, they are learning the foundation of learning itself.“ (M.A.K. Halliday; 1993)

Sprache als Schlüsselkompeten

Spracherwerb und damit verbunden die Studierfähigkeit ist keine leichte Angelegenheit, sondern harte Arbeit, das hat die Keynote von Prof. Heike Behrens (Universität Basel) gezeigt. Dabei wird deutlich, dass Sprachkompetenz nicht als isolierte Fähigkeit betrachtet werden dürfe. Sie sei Grundlage für vieles mehr: Ein reicher Wortschatz fördere unter anderem auch die Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstregulation. Die Verfügbarkeit über ein breites Vokabular helfe uns dabei, mental gesund und ausgeglichen zu bleiben. Erschreckend ist, dass das, was ein Kind mit drei Jahren kann, Prädiktor ist für das, was es dann auch später können wird. Kognitive und soziale Defizite seien kaum zu kompensieren. Die Sprache selektiert also schon früh. Die Tatsache, dass die meisten Kinder während ihrer ersten drei Lebensjahre fast ausschliesslich von ihren Eltern lernen, bringt hier ganz nebenbei einen neuen Akteur ins Spiel. Die Botschaft von Prof. Behrens ist eindeutig: Der Erwerb einer Sprache, sei das nun die Erstsprache, die Schulsprache oder die Bildungssprache brauche Training, viel Training. Und das ein Leben lang. 

«Und plötzlich ist da eine wissenschaftliche Sprache, deren Inhalte kaum zugänglich sind.» 

Wie anstrengend eine solche Anlaufphase sein kann, hat auch der Erfahrungsbericht einer ehemaligen Schülerin des Gymnasium Muttenz gezeigt. Gina Pelosi ist seit August 2021 Studentin der Pädagogischen Hochschule. Sie betont: Die Lücke in Bezug auf die Lesekompetenz wissenschaftlicher Texte ist gross. Während die Auftrittskompetenz, das Produktive, das Kreative und die Argumentationsfähigkeit am Gymnasium gefördert und gefordert werden, seien die sprachlichen Hürden – und dies nicht nur auf das Deutsche, sondern auch auf das Englische bezogen – für gewisse Studierende, insbesondere jene mit einer anderen Erstsprache, kaum im ersten Anlauf zu meistern: «Und es scheint nicht klar, wer diese Lücke füllt. Aber plötzlich ist da eine wissenschaftliche Sprache, deren Inhalte kaum zugänglich sind.» Es mangle an Gelegenheiten, die objektive Arbeitsweise, die die Universität fordert, zu üben. Das sei an der Schule zu kurz gekommen.  

Sprache ist mehr als ein Werkzeug der Wissenschaft 

Aber inwiefern ist es sinnvoll, die von der Academia geforderte Objektivität zur alleinigen Zielsetzung der gymnasialen Stufe zu krönen? Das lässt sich diskutieren. Zumindest zeigt das der Beitrag von Daniel Nussbaumer (Gymnasium Muttenz): Schreiben sei eben nicht nur dazu da, die zu erwerbenden basalen Kompetenzen für das wissenschaftliche Studium zu fördern, Schreiben stifte Identität: «Das sind meine Texte. Das bin ich.» Daraus ergebe sich die durchaus einleuchtende Schlussfolgerung, dass die Motivation zum eigenen Schreiben und dessen Reflexion im Sinne fächerübergreifender Schreibanlässe erfolgen sollte: Schülerinnen und Schüler sollen das Schreiben als eine von vielen Kernkompetenzen über die Fächer und über die ganze Gym-Zeit systematisch erweitern. (Schreiben-)Lernen lernt man ein Leben lang.  

Wo setzt das Gymnasium an? 

Wie schwer der Kampf um guten, zielgerichteten und sprachbewussten Unterricht ist, hat der Beitrag von Ursina Fehr (Gymnasium Leonhard) eindrücklich dargelegt. Insbesondere im Kanton Baselstadt zeige sich, dass die Sprachkompetenzen in der Erstsprache Deutsch der Schüler:innen schon bei Eintritt in die Mittelschule nicht den Anforderungen genügen. Entsprechend müsste, laut Fehr, die Sprachförderung nicht nur auf der Basis von sogenannten Sprachateliers stattfinden, sondern als Aufgabe der ganzen Schule verstanden werden. Und während es der Verantwortung der Schüler:innen obliege, das Problem zur Kenntnis und in Folge das Angebot in Anspruch zu nehmen, so sei es gleichzeitig Sache der Schule und der Politik, die Finanzierung der Förderangebote zu sichern. Die Sprachsensibilisierung sei schliesslich von vielen Akteuren abhängig. Nicht zuletzt benötige es Zeit, um das Kerngeschäft nicht aus den Augen zu verlieren.  

Dreht sich alles um Defizite? 

Ziel des Drehscheibe-Events 2021 war keineswegs eine Auslegeordnung aller Probleme, wie Prof. Dr. Thomas Grob, Vizerektor Lehre in seiner Begrüssungsrede darlegte, sondern eine fruchtbare Begegnungszone, die den Themenkomplex aus praktischer und auch theoretischer Sicht beleuchtet sollte. Das ist zumindest ansatzweise gelungen. Insbesondere während des anschliessenden Themen-Marktplatzes, wo auch über Chancen und Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert wurde. Eines steht allerdings fest: Die Strecke ist lang. Und wer auf welcher Teilstrecke und in welchem Tempo welche Trainingseinheiten leitet, muss noch geklärt werden. Der Schule obliegt es nun, den Erwerb wissenschaftlicher Textkompetenz gezielt zu unterstützen und die dafür notwendigen sprachlichen Teilfähigkeiten zu vermitteln. Die Hochschulen – so eine der Schlussfolgerungen der Drehscheibe – sollten ihre Ansprüche konkreter formulieren und gleichzeitig die diagnostischen Mittel zur Verfügung stellen, auch um die relevanten fachspezifischen Anforderungen nachvollziehbar zu machen. Fachsprache braucht Training, was die Gymnasien alleine nicht leisten können. Vielleicht sollten wir uns auch an unseren Nachbarn und dem englischen Sprachraum orientieren, wo die Komponenten des wissenschaftlichen Arbeitens vor der Universität noch stärker gefördert werden. Es bleibt also dabei: Deutsch als Kernkompetenz soll gefördert und gefordert werden – und zwar besser gestern als heute.